Παρασκευή 24 Φεβρουαρίου 2017

DER VORRANG DES UNIONSRECHTS VOR NATIONALEM RECHT

Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Bestimmung des Unionsrechts führt zu einer zweiten, ebenso grundlegenden Frage. Was geschieht, wenn eine Vorschrift des Unionsrechts für die Unionsbürger unmittelbare Rechte und Pflichten begründet und inhaltlich zu einer Norm des nationalen Rechts in Widerspruch steht?

Ein solcher Konflikt zwischen Unionsrecht und nationalem Recht ist nur zu lösen, wenn eine der beiden Rechtsordnungen zurücktritt. Das geschriebene Unionsrecht enthält insoweit keine ausdrückliche Regelung. In keinem der Unionsverträge ist etwa eine Vorschrift enthalten, die besagt, dass das Unionsrecht nationales Recht bricht oder dass es dem nationalen Recht nachsteht. Dennoch lässt sich die Kollision zwischen Unionsrecht und nationalem Recht nur dahin gehend lösen, dass dem Unionsrecht der Vorrang vor dem nationalen Recht eingeräumt wird und es damit alle nationalen Vorschriften, die von einer Unionsvorschrift abweichen, verdrängt und deren Platz in den nationalen Rechtsordnungen einnimmt. Denn was würde von der Rechtsordnung der EU bleiben, wollte man das Unionsrecht dem nationalen Recht unterordnen? Beinahe nichts! Die unionsrechtlichen Vorschriften könnten durch jedes beliebige innerstaatliche Gesetz aufgehoben werden. Von einer einheitlichen und gleichmäßigen Geltung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten könnte nicht mehr die Rede sein. Auch wäre es der EU unmöglich, die ihr von den Mitgliedstaaten übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Die Funktionsfähigkeit der Union wäre in Frage gestellt, und der von großen Hoffnungen getragene Aufbau eines vereinigten Europas wäre zerstört.

Ein solches Problem besteht nicht im Verhältnis Völkerrecht-staatliches Recht. Da das Völkerrecht erst durch den Akt der Inkorporation oder Transformation Bestandteil der staatlichen Rechtsordnungen wird, entscheidet sich die Frage des Vorrangs allein nach den Regeln des staatlichen Rechts. Je nach dem Rang, den das staatliche Recht dem Völkerrecht in der staatlichen Rechtsordnung zuweist, geht es dem Verfassungsrecht vor oder steht es im Range zwischen Verfassungsrecht und einfachem Gesetzesrecht oder hat es nur den Rang einfachen Gesetzesrechts. Das Verhältnis von gleichrangigem inkorporierten oder transformierten Völkerrecht und staatlichem Recht bestimmt sich nach der Regel, wonach das zeitlich später erlassene Recht das bis dahin bestehende Recht verdrängt („lex posterior derogat legi priori“). Diese staatlichen Kollisionsregeln sind hingegen auf das Verhältnis zwischen Unionsrecht und staatlichem Recht nicht anwendbar, weil das Unionsrecht nicht Bestandteil der staatlichen Rechtsordnungen ist. Ein Konflikt zwischen Unionsrecht und nationalem Recht kann deshalb allein aus der Rechtsordnung der EU heraus gelöst werden.

Wieder war es der Gerichtshof, der angesichts dieser Folgen den für die Existenz der Rechtsordnung der EU unumgänglichen Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts gegen den Widerstand einiger Mitgliedstaaten durchgesetzt hat. Er hat damit der Rechtsordnung der EU neben der unmittelbaren Anwendbarkeit den zweiten Pfeiler errichtet, der diese Rechtsordnung letztlich zu einem tragfähigen Gebäude werden ließ.

In der bereits vorgestellten Rechtssache Costa/ENEL hat der Gerichtshof zwei für das Verhältnis des Unionsrechts zum nationalen Recht bedeutsame Feststellungen getroffen:
• Erstens: Die Staaten haben Hoheitsrechte endgültig auf das von ihnen geschaffene Gemeinwesen übertragen, und spätere einseitige Maßnahmen wären mit dem Konzept des Unionsrechts unvereinbar.
• Zweitens: Es ist ein Grundsatz des Vertrags, dass kein Mitgliedstaat die Eigenart des Unionsrechts antasten kann, im gesamten Bereich der Union einheitlich und vollständig zu gelten.
Aus alledem folgt: Unionsrecht, welches den Befugnissen der Verträge entsprechend gesetzt wurde, geht jedem entgegenstehenden Recht der Mitgliedstaaten vor. Es ist nicht nur stärker als das frühere nationale Recht, sondern entfaltet eine Sperrwirkung auch gegenüber später gesetztem Recht.
Im Ergebnis hat der Gerichtshof mit seinem Urteil Costa/ENEL zwar nicht die Verstaatlichung der italienischen Elektrizitätswirtschaft in Frage gestellt, aber ganz entschieden den Vorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht festgestellt.

Als Rechtsfolge aus dieser Vorrangregel ergibt sich im Kollisionsfall, dass dem Unionsrecht widersprechendes nationales Recht unanwendbar wird und ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert wird, als diese mit Unionsrecht unvereinbar wären.
An dieser Feststellung hat der Gerichtshof seitdem in ständiger Rechtsprechung festgehalten. In einem Punkt hat er sie freilich weiterentwickelt. Während er sich in dem eben genannten Urteil lediglich mit der Frage des Vorrangs des Unionsrechts vor innerstaatlichen Gesetzen zu befassen hatte, bestätigte er den Grundsatz des Vorrangs auch für das Verhältnis zwischen Unionsrecht und innerstaatlichem Verfassungsrecht. Die nationalen Gerichte sind der Auffassung des Gerichtshofs nach anfänglichem Zögern im Grundsatz gefolgt. In den Niederlanden konnten ohnehin keine Schwierigkeiten auftreten, da in der niederländischen Verfassung der Vorrang des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Gesetzesrecht ausdrücklich niedergelegt ist (Artikel 65 bis 67). In den anderen Mitgliedstaaten ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ebenfalls gegenüber den einfachen nationalen Gesetzen von den nationalen Gerichten anerkannt worden. 

Der Vorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Verfassungsrecht, und hier vor allem vor den nationalen Grundrechtsgewährleistungen, stieß hingegen bei den Verfassungsgerichten der Bundesrepublik Deutschland und der italienischen Republik anfangs auf Widerstand. Dieser wurde erst aufgegeben, nachdem der Grundrechtsschutz in der Rechtsordnung der EU einen Standard erreicht hatte, der im Wesentlichen dem der nationalen Verfassungen entspricht. Gleichwohl bleiben beim deutschen Bundesverfassungsgericht Vorbehalte gegenüber einer fortschreitenden Integration, die das Bundesverfassungsgericht vor allem in seinen Urteilen zum Vertrag von Maastricht und zuletzt zum Vertrag von Lissabon deutlich formuliert hat.